25.09.2009

Sprichwörtliche Schmerzen

Oder: Leiden mit Metaphernpotential

Wenn beide Füße wund sind – kann man nicht mehr humpeln.

Ruhig mal drüber nachdenken.
Oder vielleicht auch lieber nicht.

11.09.2009

Sieben ohne: Das Ende

[ursprünglich: 14. April 2009]

von Ute Janssen


»Oh doch, natürlich ist das wichtig«, erkläre ich meinem Freund, während ich zielstrebig auf den nächsten internetfähigen Rechner zusteuere. Wir sind in Stockholm und verbringen dort ein romantisches Oster-Wochenende. Eines habe ich bei unserer Reisevorbereitung jedoch vergessen: Herauszufinden, wann genau eigentlich die Fastenzeit endet.

Seit Aschermittwoch verzichte ich auf alles Süße: auf Schokolade, auf Kuchen, aber auch auf jegliche Form des Zuckers, zumindest dort, wo er süß macht: Ich esse seit sieben Wochen keine Erdbeermarmelade mehr zum Frühstück, keinen Blaubeerjoghurt nach dem Essen und trinke keine Bionade mehr im Kino. Salatdressing wird seit Aschermittwoch bei mir mit Honig zubereitet. Und so schwierig mir es manchmal fällt, das Süße aus meinem Leben zu verbannen, jetzt weiß ich doch tatsächlich nicht, wann eigentlich offiziell Schluss ist – mit der Fastenzeit.

Hatte ich nicht mal etwas von Ostersamstag 12:00 Uhr gehört? Ich bin nicht besonders bibelfest. Aber daß es am Ostersamstag aus christlicher Sicht noch relativ wenig zu feiern gibt, das weiß sogar ich. Ein kurzer Blick ins Internet bestätigt meine Zweifel. Die Fastenzeit endet in der Nacht von Ostersamstag auf Ostersonntag. Also mitten in der Nacht aufstehen und eine Tafel Nuß-Schokolade verputzen? Nein, danke. Ein bißchen zivilisierter darf es schon sein. Das bin ich schon meinen Lesern schuldig. Mein Fastenbrecher soll ein schönes Stück Kuchen am Ostersonntag sein. Oder ein Eis. Oder was mir sonst so Zuckersüßes und Unwiderstehliches über den Weg läuft.

Und dann war er da – der Ostersonntag. Die ersten süßen Versuchungen hält das Frühstücksbuffet bereit. Marmelade? Zu unspektakulär. Osterkuchen? Sieht irgendwie trocken aus. An einem belebten Stockholmer Platz kauft mein Liebster sich ein Daim-Eis. Das sei schließlich typisch schwedisch und gehöre daher zur kulinarischen Begegnung. Aha. Aber ein Eis? In Schweden? Und dann auch noch ein Kiosk-Eis? Keine Kugeln? Kein italienischer Eisverkäufer? Nein, das scheint mit nicht das zu sein, worauf ich seit sieben Wochen warte. Die richtige Versuchung wird schon noch kommen, dachte ich mir. Und sie kam!

Ein Stück Himbeer-Mandel-Kuchen serviert mit einem heißen Lavazza Latte Macchiato am Stockholmer Hafen. Das war mein so offizielles wie würdiges Ende der Fastenzeit. Es hat gut geschmeckt. Allerdings auch nicht so wahnsinnig, wahnsinnig gut, wie ich mir es so manchesmal in den sieben Ohne-Wochen vorgestellt hatte.

Und soll ich ihnen etwas verraten? Es war bisher meine einzige zuckersüße Nascherei. Ich habe mich an mein natursüßes Dasein gewöhnt und so manches lieb gewonnen: Den Fruchtaufstrich statt Marmelade, den Natur-Joghurt mit frischem Obst. Ich denke ich werde einiges davon beibehalten. Aber: Wenn das Wetter auch morgen noch so zauberhaft frühlingshaft ist, dann verrate ich Ihnen auch, wo Sie mich morgen Abend treffen können: Dort, wo mich ein großer, hagerer Italiener mit den ersten Sonnenstrahlen sicherlich schon vermißt hat. An meiner Lieblingseisdiele – im Grindelhof!

– Ende –


Alle Folgen (umgekehrt chronologisch):

08.09.2009

Vorschlag

Allen Straßenmusikern, die noch ein einzigesmal eine »Der Pate«-Melodie in der Fußgängerzone spielen, wird nicht mal mehr ein Angebot gemacht, das sie nicht ablehnen können.

02.09.2009

Sieben ohne: Krise!

[ursprünglich: 3. April 2009]

von Ute Janssen


Ohne Zucker lacht das Leben – habe das wirklich ich behauptet? Wie konnte ich nur?! Ohne Zucker ist das Leben: leer, unsüß, irgendwie blöde.

Es gibt so Tage, da brauche ich einfach Schokolade. Gestern war so ein Tag. Und vorgestern auch. Und vorvorgestern. Alle Menschen um mich herum essen Schokolade, »Ritter Sport« ist mit der 267. Sorte »Pfirsich-Maracuja-Joghurt« auf dem Markt, die ersten Sonnenstrahlen katapultieren auch die ersten Eis-Esser in die Straßen. Und ich? Was darf ich?! Schokolade? Vanille? Tiramisu? Nein, Trockenfrüchte. Na bravo.

Der Schokoladen-Riegel ist ein Zeitgenosse der Krise, das schrieb am Dienstag die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Der feuilletonistische Beweis: Der Riegel »Mars«, übrigens in den USA unter dem Namen »Milky Way« eingeführt, erblickte 1923, mitten in der amerikanischen Rezession das Licht der Welt. (Interessanterweise heißt das, was wir hierzulande als »Milky Way« kennen, in den USA »3 Musketeers« und ist – soviel Zeit muss sein – seit 1932 im Handel.)

Noch nicht überzeugt von der These Schokolade = Krisenprodukt? Dann hält die FAZ einen weiteren Beweis für Sie parat. Die Famile Mars, bis heute eine der reichsten der Welt, legte 1930, gleich nach dem Börsencrash der Wall Street, den klebrig-süßen Schoko-Nuss-Riegel »Snickers« auf. Und was höre ich heute in den Wirtschaftsnachrichten? Die Schokoladenfabrik Halloren aus Sachsen-Anhalt, die älteste und einzige börsennotierte Schoki-Produktion in Deutschland, meldet das erfolgreichste Geschäftsjahr ihrer Geschichte.

Gilt also: je unglücklicher, desto süßer die Zeiten? Was mich betrifft: Ja! Zumindest, wenn das Unglück nicht allzu groß ist. Gegen Hamburger Schmuddel-Wetter hilft: zarte Milchschokolade. Gegen hormonelle Unpäßlichkeiten: »Ritter Sport Knusper Keks«. Gegen Liebeskummer: schon schwieriger. Eigentlich nur die beste Freundin. Aber eine Eis-Packung Cremissimo, gemeinsam gelöffelt, unterstützt den Heilungs-Prozeß. Und in der Krise? Da ist Schokolade ein luxuriöses Produkt, das nicht teuer ist, ein kleines Glück für jedermann. Die Börsenkurse wird selbst die edelste Chili-Zartbitter-Schokolade wahrscheinlich nicht nach oben treiben, aber wenn sie es genau wissen wollen, lesen Sie lieber die Wirtschaftsnachrichten. Oder die FAZ. Ich esse derweil meine Trockenfrüchte.


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31.08.2009

Bebel vs. Lennon

Oder: Wie wir die Demokratie gef***t haben.
Ein Gastbeitrag von Stefan Wedler


Bei der Lektüre eines Artikels über meine ehemalige Schule mußte ich daran denken, wie die zu ihrem heutigen Namen gekommen ist.

John-Lennon-Gymnasium.

Die hieß davor – also auch zu DDR-Zeiten schon – nämlich mal August-Bebel-Schule, und nach der Wende dann eine Weile August-Bebel-Gymnasium. Bis so etwa 1992. Die Demokratie war damals für Schüler wie Lehrer etwas neues und wurde – auf eine durchaus chaotische Weise – aber eben auch an der Schule eingeführt.

Das ging so, daß es Klassensprecher gab, die sich in der Schülervertretung versammelten. Daneben gab es eine Eltern- und eine Lehrervertretung; jedes dieser Gremien entsandte vier Abgeordnete in die Schulkonferenz, in der also jeweils vier Schüler, Lehrer und Eltern saßen und in den durch die Schule zu entscheidenden Fragen gleiche Stimmrechte innehatten.

Ich war damals Klassensprecher und Mitglied der erwähnten Schulkonferenz.

Eine der Fragen, über die die Schule selbst entscheiden konnte, war die ihres Namens. Man denkt ja vielleicht: August Bebel ist doch ok, ein altehrwürdiger Sozialdemokrat, gegen den man nichts haben kann – und es hatte auch niemand etwas gegen August Bebel. Im Gegenteil. Viele waren dafür, daß die Schule auch weiter seinen Namen trüge.

Aber es war auch die Zeit allgemeiner Veränderungen. Der Lehrkörper war ob der neuen Regeln verunsichert und die Schüler waren ob der neuen Freiheiten übermütig.

Also gab es – auch das war etwas neues – eine Projektwoche, in der die Schüler sich mit möglichen Namen für die Schule befassen und ihre Gründe dafür untermauern und die Argumente anschließend vortragen sollten. Daraufhin sollten die Schüler-, Lehrer- und Elternvertretungen jeweils für sich ihren Favoriten küren, und ihre Delegierten sollten schließlich in der Schulkonferenz über den Schulnamen abstimmen.

Es gab drei Vorschläge mit nennenswerter Unterstützung. Die Kunstlehrerin wollte Camille Claudel, die meisten wollten August Bebel und die linkslastigen Teile der Schülerschaft – wir galten nicht zu Unrecht als »Zeckenschule« – waren natürlich für John Lennon. Zum Abschluß der Projektwoche trugen die drei Fraktionen ihre Ansichten vor: Die Camille-Claudel-Befürworter erörterten das Werk der Künstlerin, die Bebel-Freunde beleuchteten sein politisches Wirken und die John-Lennon-Freunde sangen »Give Peace a Chance« auf der Bühne.

Die genauen Abstimmungsergebnisse der Eltern- und Lehrerkonferenz habe ich nicht mehr im Kopf. Ich weiß aber, daß Camille Claudel insgesamt durchfiel und es in der Schülervertretung ein Patt zwischen Bebel und Lennon gab. Es wurde beschlossen, daß von den vier Schülern in der Schulkonferenz zwei für John Lennon und zwei für August Bebel stimmen sollten.

In der betreffenden Sitzung der Schulkonferenz ging es hoch her, denn die Freunde des altehrwürdigen Namens sahen das Erbe eines großen Sozialdemokraten angegriffen, und die John-Lennon-Freunde wollten unbedingt die neue Zeit einführen. Beide Seiten liefen in der Diskussion zu großer Form auf. (Wir hatten in Geschichte und PW [»Politische Weltkunde«] mangels Unterrichtsstoff seit der Wende nichts anderes getan, als uns im Debattieren zu üben.)

Als es zur Abstimmung kam, zeichnete sich die Niederlage der John-Lennon-Fraktion ab: Es stand 7:5 für August Bebel. Lehrer- und Elternvertreter hatten nicht nach Maßgabe ihrer Gremien abgestimmt, sondern nach ihrer Privatmeinung.

Aber wir Schülervertreter waren berauscht von den neuen Möglichkeiten der Mitbestimmung. Wir wollten durchaus die Schule in »John-Lennon-Gymnasium« umbenennen. Unser Einfluß war uns wichtiger als die Demokratie, und das Votum der uns entsandt habenden Schülervertretung interessierte uns nur mäßig. Wir schnupperten Macht – nicht wir Schüler, sondern wir vier in der Schulkonferenz.

Ich behaupte, daß wir bewußt gehandelt haben, als wir begannen, irgendwann nachts um elf das Abstimmungsergebnis in Frage zu stellen – oder vielmehr die Abstimmung selbst. Und zwar mit der Begründung: Die Schülervertretung habe uns einen klaren Auftrag erteilt, wie wir abzustimmen hätten. Dem könnten wir uns nicht widersetzen. – Andrerseits aber hätten Lehrer und Eltern nach ihrer Privatmeinung abgestimmt, was man uns wegen der Gleichbehandlung nicht verweigern dürfte.

Als Lösung dieses Dilemmas propagierten wir, daß wir Schüler – offenbar die einzigen mit einem klaren Auftrag ihres Gremiums – jeder zwei Stimmen hätten, um sowohl dem Votum der Schülervertretung, als auch unserer Privatmeinung Rechnung zu tragen.

Ich weiß nicht, ob es die späte Stunde war, oder ob wir Lehrer und Eltern wirklich erfolgreich an die Wand geredet hatten – jedenfalls wurde die Abstimmung nach Mitternacht wiederholt, und diesmal hatten zwölf Leute plötzlich sechzehn Stimmen – Lehrer und Eltern jeweils eine und die Schüler jeweils zwei.

Das Blatt hatte sich gewendet, und es stand nun 9:7 für John Lennon.

Ich verstehe bis heute nicht, warum die Eltern- und Lehrervertretung sich diese absurde Begründung für den völlig abartigen Abstimmungsmodus – das genaue Gegenteil gleicher Wahlen – haben bieten lassen. Aber sie haben es geschluckt. Und wie Sie der Zeitung entnehmen können, heißt die Schule heute noch John-Lennon-Gymnasium.

Jedes mal, wenn die Schule in den Medien oder in Gesprächen erwähnt wird, muß ich an diese denkwürdige Übung in Demokratie denken. Dann lächle ich still in mich hinein und sage mir:

Das waren noch Zeiten, als die Demokratie noch ganz neu und weich und formbar war.

Herrliche Zeiten, als die Strukturen noch nicht verkrustet waren und es nichts als ein paar wortgewandte Gymnasiasten brauchte, um Erwachsenengremien zu überrumpeln und ehrwürdige Schulen nach suspekten Kiffern zu benennen.

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